Für eine wundervolle Frau, die ich vor vielen Jahren kannte ...
Herr, heut' muss ich mit dir reden. Aber zuerst muss ich raus aus diesen Schuhen. Himmel, geschunden haben die mich heut', bis auf die Knochen, als ich dieses Haus mit den ganzen Kindern putzen musste. Meine Füße tun höllisch weh! Ich beschwer' mich nicht viel Herr, du bist mein Zeuge, aber ich mach´ diese Arbeit seit ich 12 Jahre alt war und ich kapier 's einfach nicht, wie manche Leute sich nicht um sich selbst kümmern können. Es es sehr eigenartig, Herr. Ich sag 's dir, es gibt Leute, die den Unterschied zwischen Ordnung und Chaos nur dann sehen, wenn ich ich zuständig bin. Aber diese Kinder, die haben in ihrem Leben noch nie so gut gegessen, wie wenn ich koche, das sag ich dir. Ich will nicht angeben, Herr, aber es ist wahr. Mm hmm, den ganzen Tag fragen sie mich, was ich was ich als nächstes zusammenzauber', da muss ich lachen. Trotzdem … es ist nicht das Gleiche, wie wenn man für die Eigenen kocht … war's nie, wird’s nie sein. Diese 50 und ein paar Jahre, die vergangen sind, und das hat sich nicht geändert … nichts hat sich geändert … am allerwenigsten hier. Verzeih mir, Herr, ich bin dankbar für meine Arbeit und dankbar, dass ich sie noch machen kann. Aber weißt du, Herr, ich werde alt. Meine Beine lassen mich manchmal im Stich und meine Arme wollen halt nichts mehr tragen. Und ein Pfund Kuchenteig? - Fühlt sich an wie hundert, wenn ich´s knete! Diese stechenden Schmerzen schießen mir durch die Hüfte, erst die eine Seite, dann die andere, dann wieder zurück und beim dritten Mal Treppensteigen, komme ich komm´ ich kaum bis zur Hälfte. Ich weiß ja nicht, wie lange du mich noch in dieser Welt haben willst, aber ich werd' alt und ich werd' müde. Und jetzt muss ich immer noch arbeiten gehen, damit meine Jungs ein Haus haben, wenn sie heimkommen. Mehr kann ich ihnen nicht geben. Mehr hab´ ich nicht. Aber die Rechnungen müssen bezahlt werden, sonst kommen sie und nehmen's mir weg. Ich bin gut umgegangen mit dem, was ich bekommen hab' in dieser Welt, das weißt du. Ich hab' dieses Haus. Es hat zwar nur zwei Zimmer und eine Küche und ein kleines bisschen Land neben dem Sumpf, wo die Schlangen nicht zu lästig sind - aber es gehört mir. Ich pflege meinen Garten und du weißt wie sehr ich sie liebe – meine Blumen … wachsen schön, lassen die Welt gut aussehen und meine frischen Gemüsebeete halten mich und meine Jungs gesund. Und ich konnte immer irgend ´ne Arbeit finden und mich und meine Jungs am Leben halten. Ich danke dir dafür, Jesus. Amen. Aber, wegen mir komm' ich nicht zu Dir, Herr. Ich hab' den größten Teil hinter mir, mein Leben gelebt und bin noch gut dabei. Mehr erhoff' ich mir nicht. Nein, Herr, es ist wegen meinen beiden Jungs. Sie sind beide im Gefängnis. Schätze, das weißt du auch ohne, dass ich' s dir sage. Du musst ihnen helfen, dass sie den Weg finden, den rechten Weg finden, ein anständiges Leben zu führen. Sie sind nicht schuld, Herr, fast alle von den Jungs hier landen früher oder später im Knast und die Gefängnisse hier haben noch gar nie niemandem geholfen. Sie waren gute Jungs, als sie klein waren und sie sind gute Männer, ganz tief drinnen, da wo 's wirklich zählt. Ich hab' versucht, sie gut zu erziehen. Ich weiß, ich hab´ mich nicht immer recht verhalten mit ihnen - bitte verzeih' mir, Herr. Wenn ich sie so sehr geschlagen habe, dass mir selber die Hand weh getan hat, da hab' ich gewusst, dass das nicht recht war. Aber ich hatte Angst. Angst, dass irgendein Weißer daherkommt und sie noch viel schlimmer verletzt, wenn ich ihnen nicht ein rechtes Verhalten einprügle. Ich hab 's zu oft gesehen, mein ganzes Leben lang gesehen. Ich erinner´ mich noch, als sie klein waren, Benjamin war so schlau und hat seine Buchstaben so schnell gelernt, dass der Lehrer fast nicht hinterher kam. Er hat immer drüber gesprochen, was er mal werden würde und was für ein Haus er haben würde und wo er hinreisen würde. Ich hab´ nur gelacht und gesagt, ja mein Kleiner! Geh und mach´ das! Und dann hat er gesagt, ich nehm' dich mit, Mama, das weißt du. Und ich hab´gesagt, ich hab´ keine Kleider, um durch die Weltgeschichte zu spazieren. Ich kauf' dir welche, Mama, sagte er dann und wir kringelten uns vor Lachen. Mein süßer Junge. Und Nat, ein Schlingel war er, mein Nat. Er liebte es, aus meinem Kleiderschrank zu springen, um mich zu erschrecken. Und malen konnte mein Junge! Ich konnte ihm keine Farbe kaufen, also hat er einfach einen Bleistift genommen und hat von allem und jedem Bilder gemalt. Im ganzen Haus hab' ich seine Bilder gefunden. Hab' sie immer noch an der Wand hängen oder in 'nem Buch eingeklebt. „Macht eure Schulaufgaben!“, hab´ ich ihnen gesagt, „ihr müsst was können in der Welt heute.“ Ich bin nur bis zur vierten Klasse in die Schule gegangen, da kann man nicht viel mit anfangen. Ich hab 's gespürt, als ich begann, sie zu verlieren und ich konnte nichts dagegen machen - mit der ganzen Arbeit … 6 oder 7 Tage die Woche. Und sie mit nichts zu tun. Nichts, was sie hätten tun können, als rumzuhängen mit den anderen Jungs. Das ist nicht gut für junge Leute. Zu viel nutzlose Zeit. Gestern war ich ihn besuchen. Benjamin hat gesagt: „Mama, ich hab´ versucht, hart zu arbeiten, wie du gesagt hast, aber egal wie sehr ich mich angestrengt hab' oder wie viel ich gelernt hab', ich hab´ immer das Gefühl gehabt, wie wenn einer an meinen Hosenträgern zieht und mich festhält. Genau wie in diesen Träumen, wenn man rennt und rennt um sein Leben und doch nicht vom Fleck kommt.“ Benjamin sagt, das Gefängnis ist schlimmer als der Tod und Nathanael ist schon so weit auf dem schlechten Weg, dass ihn keiner mehr zurückholen kann. Nicht wahr, Herr? Sag mir, Herr, ist es nicht wahr? Sieht aus wie wenn hier keiner mehr Hoffnung hat auf was Besseres als wie ´s eben ist. Was soll denn das Mädchen drüben von der Straße, das früher mal so ´ne hübsche Kleine war, noch anfangen - keine Zähne mehr im Mund aber dafür einen Haufen Kinder? Die Hälfte der Jungen schnupft dieses Zeug in die Nase und manche Mädchen auch. Aber es ist ja auch egal, weil, es gibt sowieso keine Arbeit außer Saisonarbeit in den Baumwollfeldern und Obstplantagen, auf den Farmen oder als Hausgehilfe wie ich. Und wenn man seinen eigenen Körper verkauft... - damit hat man schon zu biblischen Zeiten Geld verdient. Aber das ist alles nichts, wo man sich drüber freuen kann, oder was man anstreben kann. Wir waren schon froh, dass wir was zu Essen hatten, aber das ist einfach nicht genug. Herr, du hast mich stark gemacht, aber nicht stark genug, um meine Jungs zu retten. Und jetzt auch noch mein Enkel. Er ist der Revolution beigetreten, sagt er. Gestern Abend kam er und hat erzählt, dass er schweigen muss drüber. Er hat mir einen Schrecken eingejagt, als ich ihn durchs Fenster gesehen hab´ – schwarze Kleider, schwarze Sonnenbrille und eine schwarze Baskenmütze. Ich hätte fast die Polizei gerufen, bis ich dann gemerkt hab, dass er es war. „Wie siehst du denn aus! Wie wenn du in ein Haus einbrechen willst!“ „Omi, ich hau´ ab. Ich kann nicht mehr so weiterleben. Ich muss helfen, die Dinge zu ändern. Omi, WIR müssen die Dinge ändern. Das macht niemand für uns. Niemand wird uns irgendwas geben. Wir müssen uns selbst um uns kümmern. Außerdem, wir brauchen niemand, der uns hilft. Wir müssen nur den Weißen loskriegen, dass wir leben können.“ „Wir brauchen den Herrn, mein Schatz.“ „Omi, der Herr hat in hundert Jahren nix gemacht. Wir können nicht mehr länger warten.“ Als er gegangen ist, Herr, ich hab´ ihn so fest gedrückt, dass ich mir fast die Rippen gebrochen hätte. Ich weiß, dass er falsch denkt von dir, aber manchmal sieht es schon so aus, wie wenn du uns vergessen hättest. Die Leute können nicht für immer ohne was leben und hoffen und warten. Meine Urgroßmutter war Sklave, meiner Großmutter und meiner Mutter ging´s auch nicht viel besser. Ich hab' mein Haus und meine Jungs. Aber die werden sich nicht mehr zufrieden geben. Ich will nicht, dass sie jemand verletzen oder verletzt werden. Deshalb, pass´ bitte auf sie auf und hilf mir, dass ich so lange durchhalten kann wie ich muss, so lange sie mich brauchen. Du hast mich durch vieles durchgebracht. Herr, sieh auf meine Jungs. Sieh auf meine Jungs. Und lass´ sie auf dich sehen. Amen
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