VOICES FROM A BLACK KITCHEN
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Die Versammlung (Part 2) - von Lib Briscoe

8/6/2019

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The Participants

Takoda Schildkröte (m)………………………Eines jeden Freund…………….Sioux
Gomda Gibbon (m)………………………..Wind…………………………………Kiowa
Cheyevo Schimpanse (m)……………..Krieger des Geistes……………………..Hopi
Gaho Gorilla (w)…………………………….Mutter…………………….Unspezifizierter einheimischer Herkunft
Posala Schwein (w)………………………Abschied von den Frühlingsblumen……Miwok
Sitala Sau (w)……………………………….Durchdringende Erinnerung…………………..Miwok
Doba Delphin (w)………………………….Es gab keinen Krieg……………...Navajo
Wapun Wal (w)…………………………Dämmerung…………………………………..Potawatomi
Lallo Löwe (m)………………………………Kleiner Junge………………………………Kiowa
Lomahongva Leopard (w)…………….Aufsteigen schöner Wolken………..Hopi
Rowtag Rabe (m)………………………Feuer……………………………………….Algonquian
Wakiza Wolf (m)……………Verzweifelter Krieger…………Unspezifizierter einheimischer Herkunft
Donoma Hund (w)………………………….Sichtbare Sonne…………………………….Omaha
Bidzill Büffel (m)………………………..Er ist stark………………………….Navajo
Baishan Bienen (Schwarm)…………………Messer……………………………………..6 Nationen der Apache
Shikoba Sturnidae-Stare…………Feder………………………………….Choctaw
Eluwilussit Elephanten (Familie)………Heiliger………………………………...Algonquian

Die Delegationen

Gaho erhob sich langsam aus dem provisorischen Nest und machte sich auf in Richtung des Kreises. Als ihre jüngeren Artgenossen Anstalten machten, ihr zu helfen, bedeutete sie diesen mit einem beruhigenden Winken, das sei gewiss nicht nötig. Der Anlass verlangte, dass sie alleine ging. Es war unerlässlich, ein Erweis ihrer Kraft als Stammesälteste. Und es war Inspiration für die anderen, damit sie standhaft blieben. Sie hetzte nicht. Es gab keinen Grund dazu. Als sie sich näherte, trat Takoda an den vorderen Rand des Kreises und bekundete seine Anerkennung mit einem Kopfnicken. Sie berührte sein Gesicht und er erhob sich auf die Hinterbeine und lehnte seinen Kopf an ihren. Takoda sah sie an, dann sah er in das Stadion hinaus und sagte: „Lasst uns beginnen!“ Er kehrte zurück an seinen Platz. Gaho betrat die Plattform und sprach zu der Schar der Anwesenden.

Ich bin Gaho Gorilla. Als es noch reichlich Wälder gab, bevor das Land ungerecht verteilt wurde, war genug Platz da für uns alle. Die Früchte an den Bäumen dienten uns als Nahrung, die Blätter standen uns das ganze Jahr über als Delikatesse zur Verfügung. Wir richteten weiche Betten für unsere Neugeborenen her und kümmerten uns als Gemeinschaft um unsere Kinder und Enkelkinder. Unser Leben wurde von uns selbst bestimmt und obwohl wir wohlvertraut waren mit Tod und Sterben, war unsere Existenz in Einklang mit den Sommer- und Winterzeiten dieser Welt, dem Frühling und Herbst. Nun sind so viele von uns ermordet worden, unsere Kinder wurden gestohlen und missbraucht. Die Wälder, die uns einst Heimat waren, wurden dem Erdboden gleichgemacht und durch eine einzige Pflanze ersetzt, die uns nicht zum Unterhalt dienen kann. Manchmal leben wir in Gefangenschaft und manchmal ist es besser so. Aber selbst in wohlwollender Gefangenschaft, können wir nicht wahrhaft wir selbst sein und wir können unseren Kindern nicht beibringen und ihnen nicht helfen, jene zu werden, die sie in Wahrheit sind. Hinter Gittern sind wir erst gelangweilt, dann niedergeschlagen. Wir vergessen, eigenständig zu sein und das Elend zerfrisst unser Gemüt. Wir werden krank. Jene Menschen, die uns helfen wollen, sind viel zu wenige und sie haben nicht die Macht, alleine den Lauf der Vernichtung, die uns droht, umzukehren. Trotz ihrer Bemühungen ist der Weg, der uns bevorsteht, zweifellos Völkermord. Wir müssen selbst handeln!

Als sie fertig war, ging ein summendes Geräusch der Zustimmung durch die Menge. Sie wandte sich um und lief hinüber zu Takoda und Gomda und setzte sich zu ihnen in den hinteren Teil des Kreises, wie sie es besprochen hatten.

Zwei Weibchen von der Delegation der domestizierten Schweine näherten sich, sichtbar zitternd in Anbetracht der Gegenwart so vieler natürlicher Feinde. Gaho ging ihnen entgegen und breitete ihre langen Arme als Willkommensgeste aus. „Hier seid ihr außer Gefahr, dessen könnt ihr versichert sein.“ Sie lächelten voll Dankbarkeit und folgten ihr auf das Podium. Unsicher richteten sie den Blick in die Runde und begannen im Kanon zu sprechen.

Wir sind Posala und Sitala. Wir leben und sterben unter Menschen – wir wurden für diesen Zweck gezüchtet und wir haben dies über tausende von Generationen hinweg akzeptiert. Aber die Zeiten haben sich geändert und wir werden nicht mehr wie einst mit Respekt und Mitgefühl behandelt. Früher war im Hof genug Platz zum Rennen und Herumtollen, wie wir es lieben. Weiche Stallböden wurden für uns bereitgestellt, auf denen wir Kinder gebären und nähren konnten. Sie blieben bei uns, bis unsere Milch und unser Schutz nicht mehr von Nöten waren. Ja, wir wussten um ihr und unser Schicksal, aber dennoch gab es so etwas wie Würde. Heute ist das anders und wir sind traumatisiert. Wir sind gefangen in Käfigen, die keinen Bewegungsfreiraum bieten. Nicht einmal den Kopf können wir drehen. In diesen Zellen bringen wir unsere Kinder zur Welt, wir können sie kaum sehen, geschweige denn, uns an sie schmiegen, wie es sich für eine Mutter gehört. Manche sterben, manche werden von uns gerissen, gekappt und … irgendwo … entsorgt. Wir hören ihre Schreie und weinen vor Hilflosigkeit. Wir bringen mehr Kinder zur Welt, als wir zählen können und kennen die wenigsten von ihnen. Unsere Körper sind unnatürlich breit und wir sind schwach wegen des Mangels an Sonnenlicht und frischer Atemluft. Man lässt uns voller Geschwüre im Dreck liegen. Das Leben ist ein ständiges Leiden. Solche Menschen, die uns helfen wollen, gibt es viel zu wenige; und alleine haben sie nicht die Macht, dem Angriff auf unser Leib und Leben zu begegnen, der uns jetzt plagt. Trotz ihres Bemühens ist das, was vor uns liegt, ein Weg von ewiger Qual. Wir selbst müssen handeln.

Als sie die Plattform verließen, waren sie ganz ruhig. Das Mitleid, welches Gomda zuvor empfunden hatte, hatte sich in tiefen Respekt verwandelt. Ihre blanke Hilflosikeit war von einer untypischen, aber überwältigenden Tapferkeit und Entschlossenheit überragt worden, die der schieren Not entsprang. Und sie hatten die Gelegenheit ergriffen.

Als nächstes kamen Wakizo, der dem Clan der Wölfe angehörte und Donoma, der die Koalition der domestizierten Hunde repräsentierte. „Sie sehen sehr schön aus miteinander, diese Vettern“, sagte Takoda. „Die Hunde haben eine gute Wahl getroffen. Der Sibirische Husky ähnelt in seiner Erscheinung dem Wolfsclan sehr. Hier geben sie ein beeidruckendes Bild ab und hier werden sie erneut ihre Verwandschaft verspüren.“
„Wie wir auch“, sagte Gaho und sah Gomda an. Instinktiv kletterte dieser auf einen Ast, sprang weiter auf einen anderen und wieder zurück, um ihr seine tiefe Dankbarkeit für diese Anerkennung kundzutun.

Die Vierbeiner traten auf die Plattform.

Wir sind Wakizo / und Donoma. Wir sind Cousins / sehr unterschiedlichen Glaubens... Die Menschen sind unsere Feinde / Die Menschen sind unsere Freunde... Sie hungern uns aus und versperren uns den Weg zu unserer Nahrungsversorgung. / Sie geben uns zu essen, oft von ihrem eigenen Tisch... Wir werden täglich niedergemetzelt und wir werden immer weniger / Wir werden geliebt, aber die Dinge ändern sich... Wir sind Jäger und Nomaden, wir brauchen ein weiten Lebensraum, der aufgrund ihrer Gier nach Land, kleiner und kleiner wird / Wir wurden gezähmt und sind gewissermaßen Freunde. Aber die Verwandschaftszucht macht uns krank und schwach, bis hin zur Behinderung. Der Lebensraum, der zu unseren verschiedenen Rassen passt, wird ignoriert und wir leben in für uns ungeeigneten Klimata... Wir werden als spirituelle Wegweiser in ihren Büchern verehrt, aber in der Realität werden wir als Eindringlinge und Schädlinge angesehen. Unsere natürlichen Futterressourcen schwinden und wenn wir nach Nahrung suchen, wo wir sie finden können, werden wir auf jenen Ländern, die einst uns gehörten, niedergeschossen / Wir sind in ihren Häusern und wir lieben sie, wir verehren ihre Kinder, aber die Leinen werden enger, die Regeln strenger. Käfige werden mehr und mehr zur Normalität und unsere Mäuler werden zusammegebunden. Jene Freiheit, die wir einst genossen, schwindet schnell. Wir werden konstruiert und produziert und unsere Neugeborenen werden zu oft wie Müll in Tüten entsorgt... Die Bedingungen der Koexistenz sind unsicher und schwankend. Wir werden es nicht hinnehmen, wenn es keine Verlässlichkeit gibt. / Solche Menschen, die uns helfen möchten, gibt es zu wenige... und sie können nicht allein diesen Angriff von Entwürdigung umkehren. / Auch wenn es solche Menschen gibt, ist trotzdem auf Dauer der Weg unseres Schicksal ein Weg von Gefangenschaft... und Vernichtung. / Wir selbst müssen handeln.

Sie verließen das Podium und schritten mit feierlichem Ernst die Rampe hinunter. Als sie an ihre Plätze zurückkehrten, schlossen sich alle Wölfe und Hunde zu einem einzigen Rudel zusammen.

Ein tiefes Summen kündigte ihr Kommen an. Die Baishan Bienen flogen von einem versteckten Ort in der hohen Eibe hinab und blieben über der Plattform in der Luft stehen. Das Summen schwoll an und ebbte ab, als die Bienen sich, wie es ihr Element verlangte, um die Plattform herum bewegten. Und langsam formten sich als einheitliche Stimme des Clans Wörter aus dem dröhnenden Gesurre.

Wir sind die Baishan. Wir sind die Geschwister der Grünpflanzen und der Blumen und Blüten, die uns Lebensunterhalt sind. Indem wir den Nektar trinken, sammeln und sträuen wir den Samen aus, der neues Leben hervorbringt. Aber wir sterben. Wir werden vergiftet und wir werden immer weniger. Das Gift ist in den Bäumen, den Blumen und den Feldern. Es bringt uns um. Wir werden vergiftet und unsere Kolonien können nur in großer Anzahl gedeihen. Wenn wir in unsere Bienenstöcke zurückfliegen, wird das Gift mit ins Nest getragen. Es tötet viele, die Arbeiterinnen, die Wärterinnen, viele. Es tötet unsere Königin Mutter. Alle Bäume sind ein Baum, nicht die vielen, die wir brauchen. Zu wenig Nahrung. Wir hungern. Wir werden unberechenbar. Wir verlassen unser Nest und unsere Mutter. Ein neuer Feind greift uns an. Ein kleiner Feind dringt in unser Haus ein. Es haftet uns an und entzieht unseren Körpern jedwede Kraft. Wir sind geschädigt und werden schwach. Das frühzeitige Sterben verkleinert unsere Gemeinschaft. Der heiße Wind verändert unsere Blumengeschwister und unsere Körper wehren sich und sterben ab. Viele helfen uns, aber zu wenige. Zu selten. Zu spät. Unfreiwilliges Aussterben. Wir nehmen es nicht hin. Wir müssen handeln!

In einer ausschweifenden Bewegung, flogen sie aufwärts und verschwanden wieder in den oberen Ästen der gewaltigen Eibe.

Ein ohrenbetäumendes Brüllen erfüllte das Stadion und Takoda senkte trotz seiner angeborenen Fähigkeit, zumindest den Anschein von Ruhe zu bewahren, abrupt den Blick. Lallo vom Löwenclan preschte nach vorne, machte aus einiger Distanz mit langgestrecktem, kraftvollen Körper einen Rießensatz und landete in der Mitte der Plattform. Er wandte sich langsam um, begann mit gleichmäßgen Schritten vorne auf dem Podium hin und her zu gehen. Er gab dabei das gleiche Bild ab wie seine vielen Brüder, die in Zirkuswagen eingesperrt worden waren. Lomahongva vom Leopardenclan folgte etwas gemächlicher und sprang geschmeidig auf die Plattform. Er ließ sich in einer der vorderen Ecken nieder und bewegte seinen Schwanz angespannt von einer Seite auf die andere. Gaho bemerkte, dass diese majestätischen, selbstsicheren Raubkatzen in eine tiefe Niedergeschlagenheit gefallen waren, einer Depression sehr nahe. Obwohl sie nicht einfach zu verstehen waren, hatte sie dieses Verhalten bei ihren eigenen Landsleuten schon gesehen und erkannte es wieder. Keines der anwesenden Lebewesen gab es, das sich nicht vor ihnen hätte fürchten müssen, doch was sie nun alle empfanden war: Mitleid. Mitleid, das sie alle füreinander verspürten. Diese beeindruckenden Katzen hatten ihre Stärke verloren und es war ein harter Sturz gewesen. Lallo begann, zu sprechen, aber er sah dabei nicht auf. Es war nicht deutlich, ob er zu der Menge … oder zu sich selbst sprach.

 Wir sind Könige, oder nicht?  Wir waren frei, oder nicht? Die Illusion ist verblasst und die Gefahr, welche uns seit einigen Jahrhunderten umgab, ist greifbar geworden. Gefangen und eingesperrt! Eingesperrt und lächerlich gemacht. Verhöhnt, ausgepeitscht und verbrannt. Eingeschränkt und kontrolliert... Wir sind aus der Wildnis – es ist unser natürliches Recht! Keine andere Art, zu leben, ist befriedigend... Nun sind wir vor Machtlosigkeit geschändet. Die Angst, auszusterben, bestimmt uns. Der Schauder, der einst unsere Beute ergriff, befällt nun uns... Aber wir waren nicht grausam! Wenn unsere Bäuche gefüllt waren, lebte die Antilope neben uns in Frieden. Wir lagen tagelang geruhsam in der warmen Sonne und beobachteten wie unsere Jungen spielten und lernten. Morde, um Jagdtrophäen zu sammeln, Verletzung und Unterwerfung, das sind Haltungen von Barbaren. Das waren nicht unsere Untaten... Wir sind Einzelgänger, nur unserem eigenen Familienclan verpflichtet. Aber jetzt muss unsere Distanziertheit ein Ende haben – wir schließen uns euch an. Ihr habt unser Wort.

Lallo und Lomahongva schritten langsam die Rampe hinunter - in aufrechter Haltung und alle vier Beine ausgestreckt kehrten sie zurück an ihren Platz. Ihr bewusster Versuch, zu beweisen, dass sie keine Gefahr für die anderen darstellten, war erfolgreich und wurde außerordentlich geschätzt.

Ein Laut, dem Ruf der Affen ähnlich, aber höher und schärfer, kam aus der Richtung der Aquarien. Ein Mitglied der Doba Delphin Gemeinschaft forderte die Aufmerksamkeit der Versammlung ein, da die Wassertiere das Podium nicht nutzen konnten. Takoda, Gaho und Gomda liefen zur Spitze des Podiums, um einen vollständigen Blick auf diese großartigen Meeressäuger zu bekommen. Alle drei hatten ein Lächeln im Gesicht. Die Dobas weckten ein besonderes Gefühl in allen Lebewesen, die ihnen begegneten. Sie waren verspielt und machten gerne Späße. Doch sollte sich niemand in ihnen täuschen. Diese Tiere hatten einen scharfen Sinn für die Welt, die sie umgab und sie hatten schon viele Leben im Ozean gerettet. In ihren Stimmen lag eine große Heilkraft und ihr gemeinschaftliches Leben war so komplex wie jegliches andere Leben auf Erden. Der Wapun Waal sang gefühlvoll und erfüllte das gesamte Stadion mit herzzereißenden Klängen. Der Doba und der Wapun wechselten sich mit dem Sprechen ab, wenn einer von ihnen auftauchte, um Luft zu holen.

Wir sind Doba und Wapun. Die Meere werden warm und unberechenbar. Vieles, was lebte, erstickt und stirbt, die Strömungen verändern ihre Läufe und der natürliche Fluss von Fischleben und Pflanzenleben ist unterbrochen. Flora und Fauna am Übergang von Land und Wasser leiden schwer, ihre Versorgung ist mangelhaft, überwässert, ihr Überleben und das unsere gefährdet. Unsere Gewässer sind verschmutzt und unsere Fisch-Brüder und Meeresbewohner-Schwestern werden krank, deformiert oder sterben. Der Geschmack des Wassers ist bitter, sichtbare und unsichtbare Elemente der Vernichtung dringen ein in unsere Welt. Auch wir wurden gefangen und eingesperrt, aber jetzt haben viele Menschen unser Bedürfnis nach Freiheit und Familiengemeinschaft erkannt. Darüber sind wir froh und dankbar. Aber unsere Welt ist voll Abfall von den Angewohnheiten der Menschheit und bevor Konsequenzen überhaupt bedacht wurden, führte man ständig irgendwelche Neuerungen des Fortschritts ein. Und jetzt füllt eine neue Substanz unsere Bäuche, die wir nicht verdauen können. Wir sind voll und doch hungern wir. Dieses neue, nutzlose Gebilde ist nun in uns, in unseren Fisch-Brüdern, in unseren Vettern, die fliegen und es wird mehr und mehr mit jedem Wechsel der Jahreszeiten. Wir können kaum vermeiden, es zu verzehren, weil es überall ist. Millionenfach nimmt unsere Anzahl jährlich ab. Wenn wir nicht handeln, dann sind wir bereits tot!

Der schwere Wellengang ließ nach, als Wapun und Doba wieder ruhig in ihren Aquarien schwammen und das gesamte Stadion schwieg für einen langen, düsteren Moment.

Die Shikoba Stare stiegen mit dem Wind empor, ein Klang erhob sich mit ihnen, wie Winterwellen an der Westküste oder wie ein Wasserfall, der sich in ein Becken ergießt, das er ausspühlt und anfüllt. Zu tausenden tanzten sie im Himmel über dem Stadion in magischer Einheit und Harmonie, wirbelten und taumelten, formten und gestalteten Muster am Himmel. Wogend und verdichtend erschufen sie Bilder, die für einen Moment stehenblieben und sich im nächsten in ein anderes verwandelten. Alle sahen gebannt zu. Sie sprachen keine Worte und gaben kein Zeugnis. Stattdessen skizzierten die Shikoba himmlische Abbilder von allen, die an der Versammlung teilnahmen – Löwe, Adler, Präriehund, Igel, Büffel, Antilope, Frosch, Echse, Affe, Elefant, Lachs, Wal, Schildkröte... und alle anderen. Als jeder einzelne sah, wie sein oder ihr Abbild den Himmel füllte, fühlten sich alle zugleich geehrt und voll Ehrfurcht. Sie fühlten ihre eigene Bedeutsamkeit, waren sich aber auch bewusst, dass sie im Gleichgewicht mit der Bedeutsamkeit aller anderen stand. Der gewaltige Wind legte sich, als die Shikoba sich in die Bäume zurückbegaben.

„Umwerfend!“ sagte Takoda. „Wir wurden alle hoch erhoben“, sagte Gaho. „Ein Geschenk, das wir schätzen werden, wenn wir den Weg beschreiten, für den wir uns heute entscheiden.“ „Wir sind Körper und wir sind mehr als Körper“, flüsterte Takoda. „Die Shikoba haben uns daran erinnert und es wird weise sein, uns dessen zu besinnen.“ Er wollte den Bann nicht brechen, aber er atmete tief ein und sagte: „Wir müssen weiter machen.“

Drei Mitglieder des Cheyevo Clans liefen über das Feld, aufrecht, sich dessen bewusst, dass alle sie mit großer, doch angsterfüllter Erwartung beäugten. Sie waren die Verbindung zwischen der Menschheit und allen anderen Lebewesen und ihre Stimme hatte gewaltiges Gewicht. Der Hüter der Cheyevo hielt die Hand des Weibchens an seiner Seite, seine Frau und Gefährtin, bis sie die Mitte des Podiums erreichten. Sie schmiegte ihren Kopf an seinen. Dann ließen sie langsam los und alle drei drehten sich zu einander in tiefem Schweigen. Takoda, der diese Haltung als eine der Trauer kannte, stieg auf das Podium und sprach leise zu ihnen: „Cheyevo, wenn es Hoffnung gibt für einen anderen Weg, liegt es in eurem Wissen. Was sagt ihr uns?“ Takoda spürte den Blick des Hüters schwer auf sich lasten. Gomda und Gaho kamen die Rampe herauf. Sie lehnte müde auf dem jungen Gibbon, und ihre Kraft schien nun aus ihrem Körper zu schwinden. Beide kletterten auf eine der umstehenden Eiben. Der Hüter der Cheyevo begrüßte die Matriarchin mit großem Respekt und Sorge, grüßte seinen Cousin Gibbon und sah dann hinaus in die Menge, die zwei anderen seines Clans zu beiden Seiten hinter ihm.

Wir sind alles, was vom Cheyevo Klan übrig ist. Vor 50 Jahren, hatten wir noch Hoffnung. Heute haben wir keine mehr. Wir sind die engsten Verwandten der Menschen – vom selben Strang und vom selben Blut, obwohl sie uns verleugnen. Aber wir kennen sie. Sie sind besessen von ihrer Illusion der Überlegenheit und selbst erfundenen Haushalterschaft über uns. Wir brauchen sie nicht. Und die Zerstörung, die erfolgt ist, zeigt, dass sie Kreaturen von niederem Verstand sind. Wir alle sind abhängig von einander – dieses Bewusstsein ist tief in unserem Instinkt verankert. Aber zu unserem Unglück, nicht in ihrem! Unser Leben hat in ihren Augen nur drei Bestimmungen – wir müssen den Narren spielen, zu ihrem Vergnügen, wir müssen geschlachtet werden, um sie zu erhalten und wir müssen für ihre Experimente herhalten. Die Tragödie meiner unausgewogenen Artgenossen ist, dass sie über unsere Sitten und Gebräuche urteilen und uns primitiv und barbarisch nennen, während sie uns in jeder Sittenlosigkeit übertreffen. Sie behandeln sich gegenseitig so grausam wie sie uns behandeln und ihre Kriege sind für uns alle verheerend geworden. Sie lassen einander hungern, wie sie uns hungern lassen. Sie verweigern einander Zugang zu den Gärten der Fülle, wie sie auch uns den Zugang verweigern. Sie halten einander gefangen, wie sie uns gefangen halten. Wir haben solche gekannt, die unsere Not sahen und für uns kämpften. Und ich habe Siege gesehen und war glücklich. Aber die Menschheit ist unstetig. Das Versprechen des Einen bedeutet dem anderen nichts und das Versprechen wird gebrochen. Obwohl einige wahre Anteilnahme zeigen, ändern sie ihr Leben nicht, was sie auch um ihrer selbst willen tun sollten. Ihre genusssüchtige Abhängigkeit von unnatürlichen Annehmlichkeiten macht sie kurzsichtig. Der Menschheit als Ganzes kann nicht zugetraut werden, dass sie zu einer wirklichen Übereinkunft kommt. Denn selbst noch in ihrer letzten Stunde geht sie überaus unzuverlässig mit sich selbst um. Wir haben keine andere Wahl, als... zu handeln!

Die Cheyevo würdigten Gaho, Takoda und Gomda und gingen, wie sie gekommen waren – aufrecht, würdevoll und Hand in Hand.

Eine einstimmige Entscheidung

Tokado schritt zum Mittelpunkt des Kreises und stellte sich auf seine Hinterbeine. Viele Sekunden lang stand er still und spürte wie er in völliger Balance war mit seinem Körper und seinem Panzer. Stark, trotz seines hohen Alters. Er blickte auf die Massen seiner Mitgeschöpfe, die von Natur aus niemals so hautnah beieinander sein dürften. Aber sie waren alle, in diesem Augenblick waren sie alle einer Meinung. „Also sind wir uns einig.“ Die kleinen Säugetiere und Nager hoben ihre Vorderpfoten, die Vögel spreizten einen Flügel, dann den andern. Die Elephanten hoben ihre Rüssel und senkten sie wieder, die wilden Hunde nickten und knurrten, wie auch ihre zamen Vettern, einen einzelnen gemeinsamen Beller. Die Katzen schnurrten leise und die Farmtiere duckten sich auf den Boden. Takoda senkte sich auf den Boden, sah Gaho an und flüsterte ihr zu: „Dieser beginnt nur das Leid, das andere enden müssen.“*) Gaho kletterte von ihrem Platz auf dem Baumstamm zu ihm herunter: „Alle werden bestraft.“*) Sie legte den Arm um Takodas Panzer und dieser nickte in Richtung des wartenden Gibbon.

Gomda stieß ein langes, schrilles Pfeifen aus. Die Eluwilussit stimmten ein, erhoben ihre Rüssel und trompeteten zum hinauf Himmel. Die Wakizas und Donomas heulten in den sich herabsenkenden Nachtschatten und die Shikoba schlugen mit ihren Flügeln im schwindenden Sonnenlicht. Die Hyänen kläfften und knurrten und bissen in den Wind und die Wapuns sangen ihren Trauergesang. Die Dopas unterstützten den beklommenen Gesang der Wale mit Pfeifen und Klicken und kehligen Rhythmen. Die Bienen summten eine tiefe und düstere Basis für die Schreie der Cheveyos, der Posalas und Sitalas mit ihren tanzenden Mehrfachrhythmen. Die Bruderschaft der Bidzill schwankte hin und her und ließ mit jedem Schwingen ein tiefes Brummen vernehmen. Die Lallos und Lomahongvas hüpften über das Feld und sprangen auf die hohen Felsbrocken, fletschten die Zähne und gaben ein kehliges Brummen von sich, das sich steigerte und zu einem donnernden Gebrüll wurde. Rowtags tanzten mit den Adlern und Eulen zusammen im Himmel wie in einem leidenschaftlichen Wirbelsturm und alle Gebietsansprüche waren vergessen. Es war ein improvisiertes Orchester, das sich zum Höhepunkt aus Kummer und Verzweiflung steigerte und fortklang bis tief in die Nacht hinein. Im Morgengrauen schließlich war alles still. Alle hatten sich verausgabt und die Situation angenommen. Der Hungestreik hatte begonnen.

Als die Sonne aufging hielt die Stille unverändert an und während der Morgenstunden machten sich die Delegationen wieder auf ihren Weg. Sie liefen, krochen, hüpften, schlängelten und stolzierten in einer spontanen Prozession durch die Länge des Stadions und erwiesen sich dabei gegenseitig allerhöchste Rücksichtnahme und Achtung. Die Antilope hatte keine Angst mehr vor dem Löwen und der Hase keine Furcht vor dem Adler. Und als sie in ihren heimischen Behausungen angekommen waren, hielten sie dieses gegenseitige Versprechen ein und wankten nicht. Die Drossel ließ die Mücke vorbei fliegen und grub nicht nach dem Wurm. Der Hase fraß nicht das Blatt. Die Pollenverteiler verteilten keine Pollen und die Saatenverteiler verteilten keine Saaten mehr. Die Tiere der Erde, ob wild oder gezähmt, ob in Zoos und Naturparks eingesperrt oder in ihrem natürlichen Umfeld pflanzten sich nicht mehr fort und nahmen keine Nahrung zu sich. Auch nicht, wenn sie bedroht oder gezwungen wurden. Nicht einmal, wenn dieser Zwang aus Liebe und Fürsorge geschah. Sie starben, aber nun aufgrund eigener Entscheidung. Der langsame, passive Tod infolge Missbrauchs war ersetzt worden einen ehrenhaften Tod des Widerstandes. Sie beklagten ihren Verlust von Leben aber sie freuten sich über die Kraft der Selbstbestimmung.

Und endlich, endlich fühlte die Menschheit ihr bevorstehendes Zugrundegehen. Doch wie immer suchten die Menschen den Grund nicht bei sich selbst, sondern anderswo und gaben allem anderen, nur nicht sich selbst, die Schuld. Mit der Zeit begannen sie zu hungern. Dann kam der Tod. Denn ohne Tiere starb langsam auch die Pflanzenwelt ab. Die Menschheit entdeckte, dass sie die Ganzheit des empfindlichen Gleichgewichts der Welt nicht künstlich ersetzen konnte. Und sie begann zu spät, die Augen zu öffnen für die Notwendigkeit von Geschwisterlichkeit. Wie also die Tierwelt heulte, weinte, piepste und brummte vor Sorge, so jammerte auch die Menschheit vor Sorge... und ihre Stimmen vereinten sich. Die Menschheit wachte auf, horchte auf und hörte zu. Zum ersten Mal nach langer Zeit hörten sie zu... Und endlich... kurz bevor alles der Vernichtung anheimfiel, verstanden sie.

*) Zitate: Shakespeare, Romeo und Julia.


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    Die Autorinnen


    ​Lib Briscoe ist eine darstellende Künstlerin, Schriftstellerin, Lehrerin und Chorleiterin aus Philadelphia, USA. Sie wohnt derzeit bei Ravensburg in Deutschland.

    Lennora Esi ist eine darstellende Künstlerin und Schriftstellerin aus Ravensburg, Deutschland. Sie wohnt derzeit bei Ravensburg in Deutschland.

    Lektor: Manfred Bürkle

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