VOICES FROM A BLACK KITCHEN
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Meine Liebe Elite - von Lennora Esi

2/14/2018

1 Kommentar

 
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​Meine liebe Elite,

Was geht? Alles klar? Wie läuft das Leben da oben so?
Ach, entschuldige … ist ja auch schon ewig her, dass wir uns unterhalten haben. Ich bin's … dein alter Bekannter …. die Unterschicht.

Ich möchte dich gar nicht lange belästigen, mir ist klar, dass du weit Wichtigeres zu tun hast. Ich muss nur ein paar Worte los werden.
Ich habe mir Gedanken gemacht … du weißt schon … weil wir immer weiter voneinander abdriften und so.
Lass uns Klartext reden!
Du bist wichtig für die Gesellschaft! Du stehst für all das, was unsere Zeit ausmacht: Fortschritt, Innovation, Intelligenz ...
Ich hingegen, steh wie ein überflüssiger Platzhalter nur dumm im Weg herum oder führe meinen Job (wenn ich denn einen habe) unvollständig aus.

Auf öffentlichen Toiletten verlange ich, neben meinem ohnehin schon für diese Tätigkeit viel zu hohen Gehalt, auch noch Trinkgeld. Die öffentlichen Verkehrsmittel, die du als umweltbewusster Bürger, in Anspruch nimmst, schaffe ich nicht, pünktlich zu befördern. Und jedes mal, wenn du mir gestattest, deinen Müll zu entsorgen, verpeste ich die ganze Luft in deiner sonst so herrlich duftenden Straße.

Es liegt nicht an dir, es liegt an mir! Ich hindere dich daran, dein Potential gänzlich zu entfalten.

Darum habe ich folgenden Entschluss gefasst:
Ich werde dich verlassen und dir den Weg in eine neue Gesellschaft frei machen, in der nur deinesgleichen leben. Eine Welt wo Anstand und Klasse herrschen!
Stell dir vor … ein Tag im Leben eines Mannes deines Standes ohne … mich.

Sein Wecker klingelt pünktlich um sechs Uhr morgens. Gähnend reibt er sich den Schlaf aus den Augen, reckt und streckt sich … lächelnd. Ein herrlicher neuer Tag beginnt.
Er klappert seine morgendliche Routine ab: Frühsport, gefolgt von einer heißen Dusche, einer Tasse Kaffee und der Online-Morgenzeitung. Munter macht er sich auf den Weg in die Praxis.
Da blauer Himmel und strahlender Sonnenschein einen prachtvollen Tag versprechen, beschließt er, sein Fahrrad zu nehmen. Auf halbem Wege dankt er seinem genialen Verstand für diesen Entschluss. Hätte er in seinem Auto gesessen, hätte er all die wunderschönen Melodien des Morgens verpasst. Vogelgesang, der Ostwind, der durch die Blätter rauscht, das dröhnende Hupkonzert … Hupkonzert? Er stutzt … schlimmer als sonst scheint die morgendliche Rushhour den Ärzten, Juristen und sonstigen Akademikern zuzusetzen. Die Straßen sind überfüllt von Mercedes und BMWs die sich hupend versuchen, aneinander vorbei zu drängeln.
Wahrscheinlich nahm bis vor Kurzem noch die Hälfte der Autofahrer die Öffentlichen zur Arbeit. Aber Gott sei Dank ist es ja nun vorbei mit den ganzen Bus-, S- und U-Bahnfahrern, deren Verstand nicht weiter reichte als die zu befahrende Strecke.
Nach ein paar Minuten erreicht er seine Praxis. Er öffnet die Türe, begrüßt den leeren Stuhl hinter dem nicht mehr besetzten Empfangsschalter und macht sich schnurstracks auf den Weg in sein Behandlungszimmer. Kaum hat die Uhr 9 geschlagen, geht es los. Unablässig klingelt das Telefon. Der Wartebereich ist zum Brechen voll. Den ganzen Vormittag ist er damit beschäftigt, von Telefon, zu Wartezimmer, zu Behandlung, zu Computer zu rennen. Die Leute schütteln ungläubig den Kopf. Was für eine schlechte Organisation!
Endlich Mittagspause.
Völlig erschöpft lehnt er sich in seinem Sessel zurück und schaut durch die milchige Fensterscheibe hinaus auf die Straße. Wie schön wäre es, jetzt ein Stück Himmel zu sehen, stattdessen spiegeln sich dunkle Flecken und getrocknete Regentropfen im Glas. Wo ist eigentlich die Putzfrau, wenn man sie brauchte? Ach so, ja richtig. Na egal, die konnte ohnehin kein Deutsch. Er wird sich mit der verschmutzen Scheibe zufrieden geben. Es gäbe zwar noch die Möglichkeit, sie selber zu putzen. Aber bitte, … wo kämen wir denn da hin?
Er beschließt, die Praxis am Nachmittag zu schließen, sein zu Auto nehmen, aufs Land zu fahren und … stopp … nein, das wäre vielleicht keine so gute Idee. Die Straßen außerhalb der Stadt sind seit Neuestem übersät von Schlaglöchern und im Falle, dass seinem Auto etwas zustößt, kann er es ja nun auch nicht mehr in die Werkstatt bringen. Er kratzt sich am Kopf und überlegt.
Natürlich, es gibt ja noch Piloten! Er wird einen einstündigen Flug nehmen und pünktlich am Abend wieder zurück sein. Per iphone bestellt er ein Taxi bei der Zentrale … Service von nun an außer Betrieb … na gut, dann eben doch das Fahrrad. Allerdings braucht er mit dem Fahrrad zum Flughafen bestimmt zwei Stunden und gibt es eigentlich noch Sicherheitsleute?
Er erinnert sich an seinen Hotelaufenthalt der vergangenen Woche. Nach einem 5 Kilometer Marsch war er endlich im Hotel angekommen. Schön! Keine lästigen Pagen, die ihm das Gepäck abnahmen, keine nervenaufreibende Rezeptionistin, die ihn auf ein Zimmer verwies. Er konnte sich den Schlüssel frei wählen. Nachdem er Besenkammer, Keller und Putzschrank ausgiebig besichtigt hatte, entschloss er sich doch für eine Suite im zehnten Stock. Nach einem sportlichen Treppenaufstieg (da der Aufzug seit einigen Wochen kaputt zu sein schien) stand er endlich in dem großen Zimmer. Zunächst machte er es sich auf der 6 Woche alten Bettwäsche bequem, bevor er sich auf die unaufgefüllte Minibar stürzte. Das war was gewesen ...
Nein, er wird sich einfach in ein schönes Restaurant setzen und ein wenig in seinem Buch lesen.
Zu Fuß passiert er die von Müllsäcken überfluteten Straßen und setzt sich in ein hübsches Restaurant. Als nach einer halben Stunde weder eine Karte, noch ein Gericht wie von Zauberhand auf seinen Tisch geflogen sind, ringt er sich vor lauter Magenknurren doch dazu durch, eigenständig in die Küche zu gehen, um dort zu bestellen. Aber leider ist weit und breit keine dieser dickbäuchigen Menschenseelen zu sehen.
Enttäuscht verlässt er das Restaurant.
Er betritt einen Laden. Seit es keine Kassierer mehr gibt, kann sich jeder einfach nehmen was er will … herrlich ... aber das frische Obst liegt verschimmelt in den Kästen, in den Kühlschränken tummeln sich Maden und die Regale sind leer geräumt.
Gott sei Dank gibt es ja seit Neuestem Onlineshopping … aber … wie kommen die Produkte an sein Haus ohne Post und Lieferanten? Ach ja richtig, Drohnen! Hoffentlich haben die noch genug auf Lager!
Er stopft sich ein paar Dosen in die Tasche und fährt nach Hause.
An der Türe begrüßen ihn unverständliche, krächzende Laute seiner dementen Mutter vermischt mit Kindergeschrei.
Etwas irritiert aufgrund der so veränderten Umstände legt er sich ins Bett. Bevor er die Augen schließt, huscht ihm aber noch ein kleines Lächeln über das Gesicht. Morgen, sagt er sich, morgen sieht schon alles wieder ganz anders aus.

Und? Liebe Elite? Was denkst du?

Ich werde auf den Klos nicht mehr nach Geld fragen, du wirst die Exkremente deines Vorgängers selber aufputzen dürfen. Ich werde nie wieder mit der Bahn zu spät kommen, ich komme einfach gar nicht mehr. Und statt jede Woche deine Straße voll zu stinken, werde ich dir den Geruch deines Abfalls jeden Tag in der Luft liegen lassen.

Ich weiß, dass ich für dich eine Selbstverständlichkeit bin. Ich weiß, du denkst ich sei bildungsfern, faul und unausgebildet. Und ich weiß, dass du den simplen Dingen im Leben keine Anerkennung schenkst. Aber bin ich denn wirklich simpel?

Hast du nicht einst diesen Spruch erfunden: Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied?
Klopfst du also nur große Sprüche, die du im Grunde gar nicht verstehst? Oder hast du Angst, weil du genau weißt, dass das, was dein Leben so lebenswert macht, im Grunde mir zu verdanken ist?
Deine Architekten können ohne meine Bauarbeiter kein Haus bauen. Deine Manager können ohne meine Angestellten keine Firma leiten. Deine Ingenieure können ohne meine Fließbandarbeiter kein Auto auf den Markt bringen. Nicht einmal deine Studenten können ihrem Glück entgegen streben ohne meine Steuerzahler.

Vielleicht ist es an der Zeit, deine Einstellung und dein Verhalten mir gegenüber, einmal gründlich zu überdenken! Du hast nicht das Recht, aufgrund einer tollen genetischen Veranlagung oder eines familiären Privilegs auf mir herumzutrampeln wie ein kleines Kind im Sandkasten!

Ich würde gerne wissen: wenn du wahrlich das Prachtstück der Gesellschaft sein sollst, warum hast du es dann immer noch nötig, dich demonstrativ über mich zu stellen?
1 Kommentar
Geli Reiser
3/6/2018 02:14:08 am

Gut geschrieben!! Augenöffnend...

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    Die Autorinnen


    ​Lib Briscoe ist eine darstellende Künstlerin, Schriftstellerin, Lehrerin und Chorleiterin aus Philadelphia, USA. Sie wohnt derzeit bei Ravensburg in Deutschland.

    Lennora Esi ist eine darstellende Künstlerin und Schriftstellerin aus Ravensburg, Deutschland. Sie wohnt derzeit bei Ravensburg in Deutschland.

    Lektor: Manfred Bürkle

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