VOICES FROM A BLACK KITCHEN
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Januar 2019 - von Lib Briscoe

1/15/2019

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Bild
Ich sitze am Fenster meines Schreibzimmers und blicke hinaus in den Garten hinter dem Haus und auf die jenseits liegenden Felder. Alles ist schneebedeckt, weich und sanft in der Erscheinung… Nebel hat sich ringsum niedergesenkt, sodass die Sonne kaum durchdringt. Das Licht scheint verschleiert, gedämpft, doch mit einem stillen Glanz.Es schmerzt, direkt in die Sonne zu blicken, aber die Szenerie, in all ihren Facetten, ist zu verführerisch – der Schnee, der Nebel, das Licht. Ein kleiner Vogelschwarm hat sich im Geäst des kleinsten Baumes im Garten niedergelassen, an dessen Zweigen sich erstaunlicherweise noch immer Äpfel festklammern.

Die Vögel beginnen zu speisen und ich wundere mich, dass die Äpfel nicht zu kalt für sie sind. Sie teilen, sie zanken sich, sie verjagen sich gegenseitig von den begehrten Leckereien. Sie fliegen zwischendurch immer wieder auf den benachbarten kahlen Baum, wahrscheinlich um aufzustoßen und ein wenig zu verdauen, bevor sie zum Bankett zurückkehren. Sie picken picken am Boden unter dem Baum, graben sich durch den Schnee und versuchen wahrscheinlich an die Äpfel heranzukommen, die im Herbst vom Baum gefallen waren und derer wir uns nicht die Mühe machten, sie aufzulesen. Diese müssen mit Sicherheit gefroren sein, überlege ich, auch wenn jene, die noch hängen, es nicht sind. Aber… eine Mahlzeit, ist eine Mahlzeit, nehme ich an. Ich bin froh, dass unser Garten wenigstens eine Winternahrung bieten kann.

Plötzlich, wie aus dem selben Impuls heraus, oder durch eine Art telepathische Kommunikation, oder ein verbales Signal, das ich hinter meinem Fenster nicht hören kann - und selbst wenn ich es hörte, könnte ich es sicherlich nicht interpretieren - erheben sie sich gleichzeitig von Boden und Bäumen und fliegen innerhalb weniger Sekunden in einer klar zuvor geplanten Formation, zu der kleinen Gruppe nahegelegener Bäume. Was ist passiert? Wurden sie aufgescheucht? Haben sie meine Aufmerksamkeit gespürt, als lästig empfunden und an einem anderen Ort ihre Privatsphäre gesucht? Sie verschwinden so plötzlich, von einem Augenblick auf den andern und der Garten ist mit einem Schlag still. Ich bin mir sicher, dass sie nicht irgendwo anders hingeflogen sind, ich hätte sie gesehen. Tatsächlich, bin ich mir sicher, dass sie noch immer in den Tiefen der Baumgruppe gleich außerhalb des Gartens sitzen. Ich halte Ausschau, aber für den Moment sind sie vor meinem neugieren Blick verborgen.

Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder dem Garten zu, in dem es jetzt wieder still ist. Es fühlt sich idyllisch an und ich bin von Neuem gefesselt, von der alles einhüllenden Schneedecke. Es gibt fünf Obstbäume, die in einigem Abstand voneinander stehen und mir fällt auf, dass unter jedem Baum der Schnee etwas verfärbt ist. Interessanterweise sind diese Stellen deckungsgleich mit der Form des Baumes und spiegeln diese wider. Es kommt mir endlich, dass die unschöne Braunfärbung, die mir zuvor entging, von den Äpfeln herrührt, nach denen die Vögel so enthusiastisch gegraben hatten. Ihre Laufbahn in den höhen des Baumes beendet, sind diese herabgefallenen und unbewachten Äpfel in den Herbst und frühen Wintermonaten auf der Erde verfault und ihre offensichtlich köstlichen (die gierige Art, in der die Vögel sie verschlingen bestätigen diese Tatsache) geheimen Säfte, haben den nassen Schnee durchtränkt und signalisieren den hungrig passierenden Geschöpfen – hier ist etwas, das euren Appetit stillen wird. Sie würden sicherlich lachen über meine langsame Beobachtungsgabe, eine so wichtige Kleinigkeit zu erkennen. Sie würde den Winter nie überstehen können, würden sie sagen, und schon gar nicht alleine. Ich muss selbst grinsen. Mein erlerntes Wissen würde sich als vollkommen nutzlos erweisen. Ich bemerke einen Vogel, der auf den Boden hopst und aufs Neue gräbt. Einer nach dem anderen, kehren immer mehr zurück, aber noch nicht der ganze Schwarm. Es ist nun weniger voll, weniger Gedrängel im Garten und es ist ein viel entspannteres Knabbern und gesprächiges Schmausen.

Die ganze Zeit über, haben mich eine einzelne Fliege und ein einsamer Marienkäfer bei meiner Träumerei am Fenster begleitet. Die Fliege scheint nicht länger als zwei Sekunden am Stück fliegen zu können, was eher einem vergeblichen langen Luftsprung gleicht, denn etwas, das man als Fliegen bezeichnen könnte.
Der Marienkäfer krabbelt die ganze Zeit am Fensterbrett entlang, als würde er emsig nach etwas suchen. Wahrscheinlich nach einem Ausgang.
Ob der Marienkäfer bis zum Frühling überleben wird, weiß ich nicht, aber ich weiß sicher, die Fliege wird es nicht. Wenn ich sie hinaus werfe, wird die Kälte ihr Verderben sein. Wenn sie hier herinnen bleibt, macht der Hunger ihr ein Ende. Ich könnte sie füttern, aber ich werde keine Fliege füttern. Ich will kein Monster sein – Gottes Kreaturen und so weiter – aber meine Entscheidung steht fest. Der Marienkäfer scheint seine Suche beendet zu haben und hat einen gemütlichen Platz auf dem hölzernen Fensterrahmen gefunden … oder vielleicht ist es auch eine Sackgasse. Wie dem auch sei, ich werde auch ihn nicht füttern, aber ich werde ihn auch nicht stören. Die Fliege ist verschwunden und hat sich, wie ich anneheme, ihrem Schicksal hingegeben. Ich spüre einen absurden Stich… Gewissensbisse?

Meine Aufmerksamkeit richtet sich einmal mehr dem Garten zu, dem Schnee, dem Nebel, den Bäumen und den Vögeln. Viel mehr sind nun wieder zurück aber weniger gierig als zuvor. Es herrscht eher eine Art Kaffe-und-Kuchen-Atmosphäre – ein Knabbern hier, ein Zwitschern und Schnattern da, ein kurzer Flug zum Nachbarbaum und Rückkehr, um wieder weiter zu schlemmen. Der Nebel ist gestiegen und die Sonne ist vollends verschwunden, was den Tag grau und trostlos macht, typisch für die Zeit im Winter. Plötzlich fallen Schneebrocken von den Ästen eines Baumes in der angrenzenden Baumgruppe. Es geht kein Wind, also muss etwas in den Tiefen des Geästes näher beim Stamm Bewegung verursacht haben. Dann sehe ich es. Ein kleiner Vogel, ungefähr halb so groß wie diejenigen, die fressen, fliegt über den Apfelbaum und lässt sich auf einem der höchsten Äste im größten Baum der Baumgruppe nieder. Und da ist noch einer… Und noch einer... Haben sie auch Hunger? Möchten sie auch die gefrorenen Früchte genießen und sehen diesen besonderen Baum als eine glückliche Fügung, eine unerwartetete Delikatesse? Werden die größeren Vögel mit ihnen teilen? Werden sie es nicht tun? Sind alle Kreaturen so selbstsüchtig und eigennützig wie der Mensch? Wie die Antwort auch immer sein mag, die kleinen Vögel geben nicht auf, wenngleich sie auch noch in einigem Abstand bleiben. Sie bleiben aufmerksam, fliegen vor und zurück. Aber mir scheint, sie warten geduldig auf ihre Chance.

Da ich nichts über Vögel weiß, außer dass sie fliegen und verfaulte, gefrorene Äpfel essen, frage ich mich, was für diese typisch ist. Werden sie weiter in den Süden ziehen, was ich ihnen raten würde, oder werden sie den Winter über hier ausharren? In welchem Fall sie sich gerne an so vielen Äpfeln bedienen können, wie sie finden. Mir persönlich macht die Kälte nichts aus. Aber die dunklen, schattigen Tage der Winterjahreszeit sind wie Greifarme, die einem den Verstand aus dem Gehirn ziehen und davon huschen, während man sich auf dem Boden wälzt und um Sonnenlicht fleht, oder sich den Tod herbeiwünscht – oder wenigstens einen Komazustand, bis endlich wieder der Frühling kommt.

Aber ich schweife ab. Die Szene vor meinem Fenster ist wundervoll und zuweilen gar atemberaubend. Ich habe noch nie mit soviel Schönheit um mich herum gelebt. Die Bäume des Waldes hinter dem Feld auf der anderen Seite des Weges haben eine blau-schwarze Farbe mit Rändern und Schattierungen aus silberfarbenem Schnee und es hat den Anschein, als verbege sich direkt dahinter eine magische Welt. Ich sehe hinaus auf die Felder und die verstreuten Häuser und es ist ein Stillleben in Echtzeit. Ich sehe die Biegungen und Windungen der Bäume, ihre Äste, die sich strecken und beugen, als sei es das Bild eines Tanzes aus uralter Zeit. Auf dem entfernter gelegenen Hügel, hat sich der Nebel weiter gelüftet und ein Hauch von Blau mischt sich mit dem Grau, sodass die Konturen der Bäume verschwimmen und zu geisterartigen Elementen eines impressionistischen Gemäldes werden. Während der Dunst weiter aufsteigt, beginnnt ein Schleier von wogenden, weißschimmernden Wolken den Himmel zu füllen und die Bäume stehen wieder scharf abgegrenzt gegen das sich aufhellende Firmament. Es gibt so viel zu sehen im Verlauf der wenigen Minuten und Stunden eines kurzen Tages.

Es ist das Jahr 2019 und ich habe ( - nicht weitererzählen! - ) 65 Jahreswechsel kommen und gehen sehen. Ich habe mehr Vorsätze gefasst, als mir lieb ist, mich zu erinnern und mich an weniger gehalten, als mir lieb ist, einzugestehen. Die eifrigen Versprechen von wegen keine Schokolade, weniger Alkohol, mehr straffe Diäten und so weiter sind nicht der Stoff, aus dem erfolgreiche Vorsätze gemacht werden. Die erfordern eine andere Hingabe. Es sind jene Vorsätze, die meine Zeit und Arbeit beanspruchen, die meine Bereitschaft einfordern, ein tieferes Bewusstsein zu finden, die mich herausfordern, mich selbst zu sehen, mit all meiner Größe und all meinen Traumata, all meinem Trug und all meinen Wahrheiten. Und an dem allem zu arbeiten, Schritt für Schritt, ohne Vortäuschung – das sind meine besten Erfolge. Dieses Jahr also, fordere ich mich selbst dazu heraus, meine Augen zu öffnen … anzuhalten, zu schauen und zu sehen – den Schnee zu sehen und das Blau-Grau des dunstigen Himmels, den Marienkäfer und die tanzenden Bäume, den Vogelschwarm, der in seiner Familieneinheit zuversichtlich und sicher ist, und den kleinen Vogel, der wachsam und vorsichtig seinen Platz am Baum sucht. Zu sehen, was hier ist und was vorbeizieht. Zu sehen, wo ich bin und was um mich ist, in jedem Moment. Zu sehen, was auf dem Hügel und hinter dem Wald ist. Den sich lüftenden Nebel zu sehen und das Durscheinen der Sonne. Und wenn ich all das sehen kann, sehe ich vielleicht auch mich selbst.

Ein kleiner Vogel hat sich näher an den Apfelbaum herangewagt. Er sitzt auf dem Ast eines kleineren Baumes nur wenig entfernt. Die anderen müssen wissen, dass er da ist. Er schaut und er wartet. Plötzlich, schlägt er mit den Flügeln, löst sich vom Ast und taucht hinab zum Boden unter dem Apfelbaum. Ein weiterer kleiner Vogel, genau wie er, gesellt sich zu ihm und ich beobachte und warte… um zu sehen, was passieren wird. Die beiden kleinen Vögel beginnen am Boden zu picken und zu essen… die anderen scheuchen sie nicht davon. Nach ein paar Minuten trauen sie sich, auf einen der Äste hoch zu fliegen, an dem ein praller Apfel noch am Baum hängt. Die größeren Vögel essen weiter, unbewegt, unbekümmert. Ich bemerke, dass ich glücklich bin, dass es mich freut. Alles ist gut. Sie wurden beim Festessen akzeptiert. Sie wurden begrüßt. Und so, gleich ihren älteren Vettern, knabbern und schnattern sie, wechseln auf einen neuen Ast und knabbern und schnattern von Neuem. Immer und immer wieder. Es gibt genug für alle, um sich satt zu essen und zu genießen. Es gibt guten Willen und Freundschaft am Baum. Es gibt Harmonie im Garten… Und es ist wunderschön.

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    Die Autorinnen


    ​Lib Briscoe ist eine darstellende Künstlerin, Schriftstellerin, Lehrerin und Chorleiterin aus Philadelphia, USA. Sie wohnt derzeit bei Ravensburg in Deutschland.

    Lennora Esi ist eine darstellende Künstlerin und Schriftstellerin aus Ravensburg, Deutschland. Sie wohnt derzeit bei Ravensburg in Deutschland.

    Lektor: Manfred Bürkle

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