Der Wein ist geflossen, die Lachmuskeln sind erschöpft und die philosophischen Gespräche im vollen Gang. Eine Freundin macht nebenbei eine triviale Bemerkung, und plötzlich versinken alle schweigend in ihre Gläser, bis eine Person artikuliert, was sich alle denken: “Was zur Hölle mache ich mit meinem Leben?” Klingt irgendwie bekannt oder? “Marie gibt auf Snapchat ihr Jawort zur Promotion, Lukas geht auf Instagram weltweite Wagnisse ein, Sophia schenkt auf Facebook neues Leben - #meinlebenistbesseralsdeins – und ich sitze in Jogginghosen zu Hause, stopfe Selbstmitleids- Ben und Jerry's in mich hinein - #solonetflixunschillen – und scheine einfach nicht voranzukommen!”
Wir unterteilen unser Leben in zwei Hauptkategorien: privat und beruflich. Wenn es in der einen mal nicht so gut läuft, kann man immer auf die andere zurückgreifen. Dein Chef ist vielleicht ein Idiot, aber den Frust kannst du beim späteren Fußballspiel rausgrölen. Dein Freund hat dich vielleicht verlassen, aber dein perfekt sitzender Vortrag für die nächste Messe, macht die Selbstzweifel wieder wett. Aber was, wenn man sich dazu entscheidet, beides zu kombinieren? Wenn man sein Hobby zum Beruf macht? Eine der ersten Fragen, die wir stellen, um eine Person kennen zu lernen, ist: „Was machst du beruflich?“ „Ich bin Schauspielerin.“ Es gibt zwei universelle Reaktionen auf diese Aussage. Entweder: „Kann man davon denn leben?“ oder „Wow, dann sehe ich dich also bald in Hollywood?“ Wenn man dann mit “nein” antwortet wird man entweder mit Mitleid oder Enttäuschung begegnet. Das Problem mit Kunst als Beruf ist, dass es keinen klaren Werdegang gibt. Wenn man Soldat werden will, geht man zum Militär. Wenn man eine Ausbildung zur Tischlerin macht, wird man Handwerkerin. Man erwirbt ein Diplom in Tanz aber was dann? Vielleicht hat man nie einen Unikurs für Literatur besucht, findet aber den Weg zur Schriftstellerei. So stellt sich also die Frage... was ist Kunst überhaupt? Ein einsamer schwarzer Fleck auf einer 2 x 2 Meter großen Leinwand? Eine komplizierte Symphonie? Eine 500 Jahre alte Geschichte, die in modernem Kontext wieder aufgegriffen wird? Was ist die Definition eines wahren Künstlers? Ein roter Teppich? Leid und Schmerz? Berühmtheit erst dann zu erlangen, nachdem man unter der Erde liegt? Was bedeutet es, professionell zu sein? Pünktlichkeit? Geld verdienen? Echtheit und wahrhafte Authentizität in den Worten auf dem Papier, Bewegungen im Raum und Farben auf der Leinwand? Von Höhlenmalerei über rituelle Tänze hin zu theatralischen Geschichtenerzählungen. Die Kunst wurde mit uns geboren und ist zu einem Werkzeug mit dreifachem Zweck herangewachsen: die eigenen Emotionen auszudrücken, zu unterhalten und Wissen an andere zu vermitteln. Es gibt keine einfache Definition. Aber besessen von dem Drang, alles zu erklären, haben wir versucht, sie fest zu nageln. Daraus sind zwei gegensätzliche Vorstellungen entsprungen: Die des hungerleidenden Künsters und des erfolgreichen Stars. Irgendwann im Laufe der westlichen Gesellschaftsentwicklung hat Kunst sich verändert. Es geht immer weniger, um gemeinsames Erleben und mehr und mehr um Ansehen und Konkurrenz. Deswegen verbringen wir bei der Oskarverleihung die erste Stunde damit, zu entscheiden, wer für welches Kleid die passenden Brüste hat und hören in Castingshows Wanna-be Popstar Stimmen beim um die Wette schreien zu. Kunst reflektiert und spiegelt die Gesellschaft wider. Und unsere hat vergessen, dass Schönheit oft im Einfachen liegt. Alles muss heutzutage groß sein. Aber wenn man versucht, etwas größer erscheinen zu lassen, als es eigentlich ist, dann füllt man dieses Vakuum nur mit heißer Luft und hält am Schluss eine Blase leerer Kunst in den Händen. Aufgrund des mangelnden Inhaltes bleibt einem also fast nichts anderes übrig, als sich mit der Oberfläche zu beschäftigen. Ich sage nicht, dass jedes moderne Kunstwerk oberflächlich ist. Ganz und gar nicht! Aber es ist schon auffällig, wie in der Industrie die Gesichter und Körper bekannter Schauspieler in der Postproduktion “korrigiert” werden und wie viel Autotune man im Radio hört. Produzenten und Plattenfirmen treffen die Endentscheidungen und sie wollen (und müssen!) verkaufen. Also versucht man sich, auf die guten alten Zeiten zu konzentrieren, als Kunst noch Aussagekraft besaß. Leichter gesagt als getan, denn hier betritt man das Territorium des Bildungssnobismus. Wie, du erkennst keinen Unterschied zwischen einem Renoir und einem Monet? Was soll das heißen, du hörst nicht, ob es Bach oder Mozart ist? Und du kannst die 40 Autoren der Bibel nicht aufzählen? Du bist am falschen Platz, mein Freund! Na schön! Dann macht man eben einfach sein eigenes Ding! Ja gut, aber… was ist gerade an dir Besonderes? Was hebt dich von anderen ab? Warum sollte ich dein Projekt unterstützen, wenn doch niemand deinen Namen kennt? Hol dir ein paar Follower, werde Youtube Influencerin und dann reden wir weiter. Um in der heutigen Zeit zu überleben, reicht es nicht, einfach nur Künstler zu sein. Man ist auch Manager, Publizist und Marketing Stratege. Es reicht nicht aus, sein Fach zu beherrschen, man muss sich auch selbst vermarkten und verkaufen. Verdammt, dafür haben wir doch keine Kunsthochschule besucht! Wir wollen doch nur kreieren. Na gut, wir besorgen uns einen Job. Und zwar keinen ich-kellnere-nebenher-während-ich-auf-Auditions-gehe-armer-Künstler-Job! Eine feste 30-40-Stunden-die-Woche-Stelle. Und siehe da, mit einem Mal werden wir nicht mehr als Künstler, sondern als Buchhalter, Lehrer oder Elektriker angesehen, die in der Freizeit gerne malen oder Musik machen oder schauspielern. Aber das Schlimmste ist, dass wir es selbst anfangen zu glauben. Wir fangen an, zu glauben, dass wir unseren Traum aufgegeben haben. Obwohl wir eigentlich Wege suchen, ihn Wirklichkeit werden zu lassen. Künstler sein ist eine Kunst für sich, weil man seinen eigenen, individuellen Weg finden muss. Wir verwechseln oftmals Professionalität mit Perfektion. Indem man aber versucht, alles perfekt zu machen, konzentriert man sich darauf, andere zufrieden zu stellen und langsam aber sicher verliert man das, was man eigentlich sagen wollte, aus den Augen. Wenn wir auf Perfektion warten, um etwas sein zu dürfen, werden wir nie etwas sein. Ich bin eine Musikerin, die keine Noten lesen kann. Ich bin eine Schauspielerin, die es hasst auf Auditions zu gehen (dazu später mehr). Ich bin eine Schriftstellerin, die nicht buchstabieren kann und eine Tänzerin, die ihr Bein kaum über 90 Grad heben und für ihr Leben keine Drehungen machen kann. Aber egal was ich mache, ich tue es mit Leidenschaft. Ich liebe es, Teil von etwas zu sein, mit anderen auf der Bühne zu stehen und die Energie mit dem Publikum zu teilen. Ich interessiere mich nicht für Preise und Ruhm. Ich will nur die Chance bekommen, zu sagen, was ich sagen möchte (auch wenn ich zu den Annehmlichkeiten des Reichtums sicherlich nicht nein sagen würde...). Wenn du Musikerin sein willst, dann sei Musikerin! Wenn du Maler sein willst, dann sei Maler! Und lass nicht die Quelle deiner Einkünfte den Wert deines Schaffens herabsetzen! Wir können zugleich glücklich sein und melancholisch. Wir können im Laufen Kaffee trinken. Wir können Mutter sein und gleichzeitig als Bänkerin arbeiten. Warum also nicht Florist sein und Tänzer? An diesem Fazit angelangt frage ich mich, ob ich das Ganze nur schreibe, um mich selbst davon zu überzeugen, dass der Weg, den ich gewählt habe, wähle und wählen werde, der richtige ist? Mag sein. Aber manchmal ist es gut, uns selbst daran zu erinnern, dass wir den Rat, den wir anderen geben, auch selbst annehmen dürfen. Schlussendlich sieht es doch so aus, meine lieben Künstlergefährtinnen und Gefährten und in „Was zur Hölle mache ich mit meinem Leben?“ gefangenen Freunde: Sie dir die Kinder, Reisen und Beförderungen an, freue dich für deine Liebsten und geh dann weiter deinen Weg. Denn höchst wahrscheinlich betrachten Marie, Lukas und Sophia jetzt im Moment dein Leben und sind genauso neidisch auf dich wie du auf sie. Lass die Leute dich bemitleiden und hinterfragen. Es sind ihre Gefühle, mit denen sie sich herumschlagen müssen, nicht deine! Lass niemanden dich drängen und dränge dich nicht selbst. Du musst nicht jeden Tag leben, als sei es dein letzter. Iss dein Eis, schau dir Folge um Folge der „Nanny“ an und entschuldige dich nicht dafür. Hab einfach Spaß dran. Mach alles in deinem eigenen Tempo, denn wenn du deinen eigenen Weg gehst, kannst du von niemandem überholt werden. Die einzige Person, mit der du dein ganzes Leben verbringst, vom Zeitpunkt, da du morgens deine Augen öffnest, bis du dich abends wieder schlafen legst, bist du selbst. Nur mit ihr bist du dein ganzes Leben lang verheiratet und nur an sie bist du ein Leben lang gebunden. Also genieße es, denn wenn du es nicht tust … wer dann?
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AutorenLib Briscoe Archiv |